top of page

Der Tag, an dem alles verloren schien

  • Autorenbild: Stefan
    Stefan
  • 10. Sept.
  • 4 Min. Lesezeit

Der 21. April ist ein Tag, der bis heute tief in meinen Gliedern sitzt. Ein Tag, an dem schon alles verloren schien. Ich fragte mich: Warum musste er das überhaupt noch einmal durchmachen? Vielleicht wollte er gehen – und man hat ihn gegen seinen Willen zurückgeholt. Aber der Reihe nach...


Am 20. April hatte Laura ihre neunstündige Operation. Ich war eigentlich den ganzen Tag an Olivers Seite und ich war mir sicher, dass er auch bei mir war. Die Prognosen waren schlecht. Man hatte mir gesagt, dass man nicht wisse, wie es in seinem Kopf aussieht – von der schweren Verletzung zwischen den Wirbeln C2 und C3 ganz zu schweigen. Trotzdem tat ich, was ich für richtig hielt: Ich hörte Musik mit Oliver, erzählte Geschichten und sprach mit ihm. Dabei hatte ich das Gefühl, dass seine Augen reagieren und mir etwas sagen wollten.

Oliver reagiert auf mein Gespräch mit ihm

Nachdem Lauras OP gut verlaufen war, verbrachte ich die Nacht sitzend an ihrem Bett im Krankenhaus. Liegen konnte ich nicht, da ich selbst eine gebrochene Rippe hatte, die mir vor allem nachts Probleme bereitete.


Am besagten 21. April begann der Tag eigentlich gut. Laura wollte trotz ihrer großen OP unbedingt Oliver sehen. Um 9 Uhr durften wir dann in die Kinderintensivstation. Dabei entstand auch das Bild, das Laura mit dick verbundenem Kopf zeigt, wie sie Olivers Hand hält.



Nach einer Stunde war Laura jedoch so geschwächt, dass sie zurück in ihr Zimmer wollte. Ich begleitete sie, doch sie schickte mich sofort zurück: „Dein Platz ist an seiner Seite.“ Sie hatte recht. Ein Teil ihrer Familie war da, ich wusste, sie ist nicht allein. Zu Oliver in die Intensivstation durften ohnehin nur die Eltern.


Ich verbrachte den restlichen Vormittag dort, bevor ich um 12 Uhr die Station verlassen musste. Erst ab 15 Uhr durfte ich wieder hinein. Um 14 Uhr stand Olivers großer Test an. Die Neurologen wollten einen SSEP-Test (somatosensorisch evozierte Potenziale) durchführen. Damit sollte herausgefunden werden, ob es über die Verletzungsstelle eine Verbindung zwischen Kopf und Körper gibt.


Der erste Test hatte bereits direkt nach der Notoperation am 18. April stattgefunden – das Ergebnis war negativ. Keine Transmission, Querschnittslähmung. Man machte uns jedoch Hoffnung: Nach einem solchen Unfall und einer Operation sei vieles geschwollen, erst nach 72 Stunden und einem zweiten Test könne man mehr wissen.


Die Zeit über Mittag verbrachte ich bei Laura, bevor ich um 15 Uhr wieder zu Oliver ging. Ich dachte, man würde mir sofort sagen, was herausgekommen ist. Doch ich wusste nicht, dass solche Tests genau analysiert werden müssen und es kein einfaches Ja oder Nein gibt.


Ich habe jedenfalls viel mit Oliver gebetet. Ich spielte ihm sein Lieblingslied vor, erzählte, und zeitweise bin ich sogar neben ihm eingeschlafen. An seiner Seite zu sein gab mir Ruhe. Seinen Atem zu spüren – auch wenn er vom Beatmungsgerät ausgelöst war – gab mir das Gefühl, dass er da ist. Draußen in Mexiko-City regnete es. Für mich war das ein Zeichen. Heute bekommen wir endlich ein positives Ergebnis.


Gegen 18:50 Uhr war immer noch kein Neurologe da. Also verabschiedete ich mich von Oliver und machte noch ein Foto, wie ich seinen Fuß halte. Als ich gerade gehen wollte, kam der Neurochirurg herein – derselbe, der auch die Notoperation bei Oliver durchgeführt hatte.



Er sagte mir, dass der Test negativ war. Keine Transmission. Das war’s. Ich weiß nicht einmal mehr, ob ich in diesem Moment eine Rückfrage stellte. Ich wusste, mein Schwager wartete draußen. Also verließ ich die Intensivstation – und brach draußen vor ihm zusammen. Mein Schwager sprach noch mit dem Neurochirurgen über die Bedeutung dieses Ergebnisses. Aber für mich war die Antwort klar: Selbst wenn Oliver überleben würde, würde er sich nie wieder bewegen können, nie wieder selbst atmen, nie wieder sprechen, schlucken oder essen.


Als mein Schwager zurückkam, umarmten wir uns und beide weinten wir bitterlich. Ich sagte, ich müsse es Laura sagen. Er fragte, ob das eine gute Idee sei – einen Tag nach ihrer schweren OP und fast 20 Uhr abends. Aber wie hätte ich neben ihr sein können mit diesem Wissen? Also gingen wir zurück in ihr Zimmer. Ich wollte es ihr mit Worten erklären. Doch als ich den Raum betrat und sie mich ansah, brach es aus mir heraus. Ich sagte nur: „Honey“ – und begann zu weinen. Sie wusste sofort, was das bedeutete, und schrie vor Hilflosigkeit.


Die Nacht war furchtbar. Kaum Schlaf. Nur Gedanken: Warum passiert so etwas? Was für ein Leben würde er haben, wenn er das Ganze übersteht? Zum ersten Mal kreisten die Fragen: Sind wir überhaupt stark genug für ein solches Leben? Gedanken, die man nicht stoppen kann.


Ohne Schlaf stand ich bei Sonnenaufgang, um 6:10 Uhr, auf dem Parkdeck des Krankenhauses. Ich wollte in der Morgensonne versuchen zu atmen und zur Ruhe zu kommen. Aber ich musste auch teilen, was geschehen war. Familie und Freunde hatten am Vortag nichts von mir gehört – es war zu spät, der Schock zu groß. Nun war es an der Zeit, diese Nachricht zu verbreiten.


Das folgende Video habe ich dann auf Instagram gepostet. Zu dieser Zeit hatte ich 650 Follower – Menschen, die ich mehr oder weniger alle kannte, wenn auch manche nur flüchtig.


Hoffnungslosigkeit...

Obwohl auf dieser Reise noch viele schwere Momente folgten, wird mich der 21. April noch lange beschäftigen. Diese Diagnose – am Ende eines Tages, an dem wir so sehr auf ein Wunder gehofft hatten – hat sich tief in mein Herz eingebrannt.

 
 
 

Kommentare


bottom of page